Montag, 3. September 2007
Teil 4: Romantische Revolverkuh
„Zu dumm, um trocken zu bleiben!“
Roland musste nicht einmal die Augen öffnen, um die Stimme zu erkennen. Es war die gestreifte Kuh, die Zicke. Dann war er wohl noch nicht tot.
„Ha, der Bulle blinzelt wieder, also alles halb so schlimm!“ Arielle beugte sich über den Geretteten. „Los, Roland, auf die Beine, hopp hopp! Der Fisch muss sauber gemacht werden!“
„Halt dich zurück. Roland lag eben noch auf dem Meeresgrund und du willst ihn schon wieder herumkommandieren.“ Der Bär schüttelte mit dem Kopf. Aber Arielle winkte nur ab.
„Pah, Männer! Ein bisschen Wasser schlucken und schon macht Ihr euren Frieden mit dem lieben Gott und verabschiedet euch von der Welt. Na ja, dann muss die Vegetarierin wieder ran, für euch den Fisch sauber machen.“ Arielle verschwand.
„Hey, sorry, wenn ich euch Arbeit gemacht habe.“ Roland hob den Kopf. „Normalerweise bin ich derjenige, der Leben rettet. Aber heute ist wohl nicht mein Tag.“
„Kein Problem. Ging mir letztes Jahr genau so. Das war ein ganz schönes Theater. Und dann das komische Gefühl, von einer Kuh gerettet zu werden.“ Der Bär grinste verschwörerisch.
„Yeah, das kann ich jetzt ja nachfühlen.“

Nachdem der Bär ihn allein gelassen hatte, lag Roland noch eine Weile in seinem Bett und dachte nach. Er hatte in seinem Leben viel erlebt, war in vielen Welten unterwegs gewesen. Eigentlich hatte er sich keine Gedanken darüber gemacht, was nach seinem Tod von ihm übrig bleiben würde. Heute war es anders gewesen. Kurz bevor ihm die Sinne schwanden, tief unten im dunklen kalten Wasser, durchzuckte ihn für einen kurzen Moment eine unendliche Traurigkeit. Was würde von ihm bleiben, wenn er jetzt für immer ging? Mal davon abgesehen, dass es dann auch diese Welt nicht mehr lange geben würde. Aber trotzdem, eine kleine Kuh, ein kleiner Bulle, von ihm gezeugt, von ihm mit den wertvollsten seiner Weisheiten und Erfahrungen ausgestattet - das wäre etwas, was ihm viel bedeuten würde. In diesem Moment störte es ihn auch nicht, dass er selber hier nur ein kleiner schwarzer Bulle war. ‚Auf die inneren Werte kommt es an!’ – eine Floskel, für die er sich in seiner momentanen Lage direkt erwärmen könnte. Er grinste. Dann stand er auf und ging ans Fenster. Unten saß die gestreifte Kuh in der Sonne und schaute aufs Meer. Bei ihrem Anblick wurde Roland zu seiner eigenen Überraschung richtig warm ums Herz, ein Gefühl, dass er nach der ersten Verwirrung zu genießen begann. Ohne lange zu überlegen verließ er sein Zimmer, ging zu Arielle und setzte sich neben sie.
„Hey, kleine Lady, ich wollte mich noch einmal bedanken, für die Rettung vorhin!“
„Schon gut, das war ein Reflex. Nicht der Rede wert.“
„Das sehe ich anders. Ich habe erst heute gemerkt, wie sehr ich an meinem Leben hänge. Und was ich alles noch gerne tun würde, bevor es dann soweit ist...“
Arielle blinzelte argwöhnisch zur Seite. Der Bulle war grad dem Tod von der Schippe gehoppst und hatte jetzt nichts Besseres zu tun, als seine Rettung für eine plumpe Anmache zu nutzen. Kerle! Obwohl, schlecht sah er ja nicht aus. Und er hatte das gewisse Etwas, das nur Bullen haben. Sie legte ihren Arm um Roland.



„Ja. Manchmal fallen einem die naheliegendsten Dinge erst ein, nachdem es zu spät ist - oder fast zu spät.“ Arielle rückte noch etwas enger an Roland heran.
„Genau. Yeah. Und man merkt, mit wie viel bedeutungslosen Dingen man seine Zeit verschwendet hat.“ Roland seufzte.
„Aber man darf den Zeitpunkt nicht verpassen, das noch zu ändern!“ Arielles Atem wurde schneller, sie spürte das Kribbeln im Bauch, das schon so lange ausgeblieben war.
Roland blickte blinzelnd in die untergehende Sonne. „Eben. Und ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss. Auch wenn viele Männer viel zu spät begreifen, was das eigentlich ist.“ Roland dachte voller Wärme an kleine Kälbchen, wie sie um ihn herumsprangen und ‚Papa’ riefen. Er schloss die Augen und lächelte. „Und du? Fühlst du ähnlich unter deinem gestreiften Badeanzug?“
Arielle konnte kaum noch sitzen. Jetzt zog sie der Bulle schon in Gedanken aus. Die Gelegenheit musste man beim Schopfe packen. „Hey, komm mit, ich zeige dir mal etwas!“
Im Haus legte sie sich auf den Boden und holte aus ihrem Täschchen ein kleines Dragee heraus, das Silke ihr mitgegeben hatte. Viagra für Kühe, hatte Silke gesagt, egal, wer von beiden es nimmt – lang anhaltender Spaß sei garantiert. Dass das Dragee die Form einer kleinen Kuh hatte, sei eine Vorsichtsmaßnahme der Hersteller - nicht dass zum Beispiel ein Bär auf die Idee käme, es könne auch ihm helfen.



Roland legte sich neben Arielle und schaute auf die winzige Kuh. In Gedanken korrigierte er sein Bild von Arielle. Hatte er sie bis jetzt für eine unromantische Zicke gehalten, so hatte sie jetzt aber ohne Worte seine Sehnsucht verstanden.
Er griff behutsam, beinahe zärtlich, nach der Minikuh und dachte in Gedanken daran, wie er später seinem Sohn von seinen Weltenreisen erzählen würde. Stephen würde er seinen Sohn nennen. Keine Ahnung warum, aber es klang gut. ‚Stephen...’
„Du oder ich?“ Arielle hauchte die Frage in Rolands Ohr.
„Ich?“ Roland guckte verständnislos zu Arielle.
„Gut, dann eben ich, Ihr Männer habt es ja wohl nicht so mit dem Schlucken!“ Sie schaute Roland voller Lust in seine schwarzen Augen, nahm die kleine Schaumzuckerkuh in den Mund und begann, sie langsam und genüsslich zu zerkauen, ohne Roland dabei aus den Augen zu lassen. Dann ließ sie ihre große Zunge über die Lippen streichen. „Hey, und jetzt kann uns nichts mehr aufhalten. Komm her!“
Roland sprang auf. „Fuckin’ Bullshit, du bist wohl nicht mehr ganz dicht! Du kannst doch nicht einfach Stephen, ähm, ich meine, ähm, was soll das Ganze jetzt? Eben war noch so eine schöne Stimmung, und du machst sie kaputt!“
„Was? Ich mache was kaputt? Du blöder Kerl! Erst mich arme Kuh anheizen und jetzt den Schwanz einziehen! Ich habe gleich gewusst, dass du ein Großmaul bist. Und nur ein Großmaul!“ Arielle war bei diesen Worten ebenfalls aufgesprungen und verließ jetzt wutschnaubend das Zimmer. Rolands Mine verdüsterte sich...

Der Bär hatte Roland und Arielle Hand in Hand ins Haus verschwinden sehen. Roland mit einem romantischen Lächeln, Arielle mit lüsternem Blick. Er wusste, dass das nicht gut gehen konnte, in fünf Minuten würde einer von beiden aus dem Haus stürmen. Und genau so war es dann, Arielle stiefelte wütend an ihm vorbei. Der Bär grinste und schwang weiter den Besen.



Roland schaute aus dem Fenster auf die beiden, deretwegen er in diese Welt geschickt wurde. In einem Anflug melancholischer Rührseligkeit hatte er beinahe vergessen, warum er eigentlich hier war. Aber der kurze Moment der Verwirrung war vorbei. Jetzt war es an der Zeit zu handeln.
Ohne Kompromisse und falsche Sentimentalitäten.

Teil 5: Verschlossene Türen hier