Donnerstag, 8. November 2007
Herbst auf der Insel - 2: Weiß
(So liebe Kinder. Bevor ihr mir jetzt wieder dauernd dazwischenquatscht, machen wir es dieses Mal anders! Holt eure Diktathefte raus und schreibt mit! Nein Lisa, das ist keine Schikane, das wird auch deine Mutter mir glauben! Also Ruhe jetzt und konzentriert euch gefälligst!)

Das größte Stück Kreide, das der kleine Picasso in seinem Leben je gesehen hatte, ist eigentlich gar keins. Sondern ein großer Felsen, ein Kreidefelsen.


"Hey, haufenweiße Weißheit hinter mir! He he ..."

Aber egal - was dem Revolvermann seine schwarze Kohle auf der Lokomotive, ist für Picasso die weiße Kreide. Hier kennt er sich aus, hier passt er hin und hier kommt er her, irgendwie.


"Tja, aus so einem weißen Kreide-Ei bin ich mal geschlüpft. Fast so klein, wie dein oller Keks. Und fast genau so hart."

In der Gesellschaft von kleinen weißen Geistern mit kreidebleichen Gesichtern und kreideweichen Stimmen. Kreide, die Geschichte leichter geschrieben hat, als der Steinmeißel. Und auch Märchen - Kreide als notwendige Vorspeise zu leckerem Ziegenfleisch,
zum Beispiel.
Hier auf der Insel reicht das Picasso-Weiß vom Boden bis in den Himmel. Fast jedenfalls. Fast bis in den Himmel. Und auch nur fast weiß. Denn irgendwie machten die Kreidefelsen einen nicht ganz so leuchtend weißen Eindruck, wie die Kreidestücke, mit denen die Kinder die Häuserwände bemalen können.
Bis sie dann im Graffity-Alter sind,
die Kinder.
Und da man die Felsen ja nicht in die Waschmaschine stecken kann, wie Picasso – das sieht immer so cool aus, wenn er am Bullauge der Waschmaschine so vor sich hinkreiselt – müsste man etwas anderes machen. Sie mit weißer Kreide bemalen, die Kreidefelsen, möglicherweise.


"Ein typischer Bungee-Jumping-Baum."

Auf alten Bildern sahen die Felsen noch ein wenig weißer aus, bei Caspar David Friedrich vor allem. Allerdings mag das daran gelegen haben, dass er nicht mit Kreide gemalt hat, sondern mit vielen schönen Farben. Und einem tollen Weiß. Mag auch sein, dass die Felsen nun schon wieder ein ziemliches Stück älter geworden sind und sich deshalb alles ganz langsam in ein ehrwürdiges Grau verwandelt.
Nicht einmal wenn es regnet, wird es hier wirklich sauber. Sondern dann wird das alles auch noch ziemlich glitschig - schmierig wie ein Brillenglas, das in die Sahnesoße gefallen ist, oder so. Und dann kann das Klettern ziemlich gefährlich sein. Nicht wegen der beschmierten Brille, sondern wegen der glitschigen Kreide. Die wird dann zu einer Art Knete. Was zumindest den Finanzminister freuen wird – es klingt immerhin besser, von der Knete förmlich verschüttet zu werden, als tief in der Kreide zu stecken. Na ja.


"Was guckt Ihr denn so komisch? Los, kommt klettern!"

Die Kreide wird bei Nässe auch ganz schön klebrig. Allerdings bleibt immer nur soviel an einem kleben, dass man hinterher Mühe hat, es wieder abzubekommen. Um einen kompletten Menschen am Felsen zu halten, reicht es aber nicht aus. Jedenfalls ließ Picasso das Klettern bleiben und hat sich statt dessen die tausende Stufen zum Strand herunter tragen lassen.
Am Strand tobte der ewige Kampf zwischen Meer und Land. In diesem Fall wird er langfristig gesehen wohl eher zugunsten des Meeres ausfallen. Schade um die Kreide.


"Ha, ich bin unsichtbar!"

Aber zumindest war noch genug von der gelbgrauen Schmiere da, mit der Picasso sich so richtig einsauen konnte. So ist das eben, wenn man sich den Dreck selbst ankreidet. Da heißt es dann: ab in die Waschmaschine Picasso!

(So, fertig werden! Lisa sammelt jetzt die Hefte ein. Nein, auch das ist keine Schikane. Halt jetzt einfach die Klappe!)

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