Sonntag, 8. Oktober 2006
Angebrettert
Im folgenden ein kleiner Text, in respektvoller Verneigung vor den Geschichten, die ein kleiner Schreibwettbewerb, ("Hinter dem Schuppen, an die Bretterwand gepresst..."), bisher hervorgebracht hat. Wer die Geschichten dort gelesen hat, wird das eine oder andere Motiv in meinem Text vielleicht wiedererkennen. :o)

(An dieser Stelle kann ich jedem nur empfehlen, sich in der Schreibwerkstatt selbst einmal auszuprobieren.)


Achso. Fürs bessere Verständnis hier die Stories,
auf die ich mich beziehe:
Vogelfrei
Sweet Revenge


Und die Kühe kommen heute auch wieder vor.
Nicht alle, sondern nur drei.
Auf Abwegen, angestiftet von der fiesen Silke.
Die Moral von der Geschicht?
"Lasst die Elektrozäune dicht!" Vielleicht.



Vielleicht aber: "Kühe sind auch nur Menschen." Oder so.
Lest einfach selbst.
Hier.

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Erpressung
"Hinter dem Schuppen, an die Bretterwand gepresst..." stand Olaf und hielt die Luft an. Direkt vor ihm, nur ein paar Meter weg, standen drei Kühe. Es war verrückt. Eben freute er sich noch auf die erregendste Nummer seines Lebens und jetzt hockte er hier im Schlamm, Auge in Auge mit großen fetten schwarz-weiß gefleckten dummen Kühen. Er hatte keine Ahnung, wo die Kühe auf einmal hergekommen waren. Hinter dem Schuppen führte ein schmaler Pfad hoch zu den Wiesen, auf denen die Kühe grasten. Gut eingezäunt, eigentlich. Irgendwie mussten die drei durch den Zaun gekommen sein und standen jetzt auf dem kleinen Pfad, der zum Schuppen führte. Und sie sahen ihn an. Erschrocken, ängstlich, neugierig. Oder wütend.

„Da ist jemand!“
Fridolin blieb erschrocken stehen.
„Nicht stehen bleiben verdammt nochmal. Wir brechen uns hier nur die Beine, wenn wir nicht so schnell wie möglich den Berg runter kommen!“
„Du kannst immer nur meckern!“ Gasoline drehte sich zu Silke um. „Sag uns lieber was wir machen sollen. Da unten steht ein Mensch, genau da, wo der Pfad endet.“
Silke sah ihn jetzt auch.
„Mist!“
„Und nun?“ Fridolin muhte unruhig. „Der guckt schon ganz komisch. Was hat der vor? Sollten wir nicht lieber zurück gehen?“
„Zurück geht nicht. Ihr seid ja den Berg schon halb runter. Den könnt ihr jetzt nicht mittendrin wieder hoch klettern. Wir warten einfach, bis der da unten verschwindet.“
„Lange kann ich aber nicht mehr still stehen. Der verdammte Pfad ist zu glitschig.“ Gasoline verlagerte ihr Gewicht vorsichtig von einer Seite auf die andere.
Fridolin sah wie gebannt auf den Mann, der da unten an der Schuppenwand hockte. Eine undefinierbare Angst kroch in ihm hoch. Instinktiv begann er, seine Beine gegen das Herabrutschen zu stemmen. Und er versuchte, sich rückwärts an Gasoline vorbei wieder bergauf zu bewegen.

Olaf fluchte leise vor sich hin. Was wollten die Kühe von ihm? Sie waren auf dem Pfad stehen geblieben und sahen zu ihm herunter, als überlegten sie sich, was sie mit ihm jetzt anstellen würden. Olaf bemerkte, dass eine der Kühe kleiner war, als die anderen beiden. Ein Kälbchen offenbar. Ein kleiner Bulle. Die anderen beiden waren ausgewachsene Milchkühe. Deutlich zu erkennen an den großen Eutern. Bei dem Anblick der Euter schüttelte er den Kopf. Es war absurd! Eigentlich hockte er hier, um sich durch das Fenster zwei Paar kleine feste Brüste anzusehen. Um sich mit anzusehen, wie zwei junge Frauen, beinahe noch Mädchen, sich liebkosten, miteinander spielten, sich gegenseitig in Ekstase versetzten. Wie fast jeden Sonntag in diesem Sommer. Und heute wollte er nicht nur zusehen, heute wollte er ... Verdammt. Jetzt begannen die Kühe sich zu bewegen.
Olaf hoffte, dass die Kühe den Weg zurück nahmen. Er selbst konnte jetzt nicht von der Stelle. Die Rückwand des Schuppens war so verbaut, dass er den Kühen weit entgegengehen müsste, um hier weg zu kommen. Das Fenster war zu klein, das Dach zu hoch. Also musste er warten, ganz ruhig, um die Kühe nicht nervös zu machen. Vorsichtig wischte er sich den Regen von der Stirn und griff in die Innentasche seiner Jacke. Jetzt brauchte er erst mal einen Schluck aus dem Flachmann.

„Bleib gefälligst stehen!“ Silke blickte zornig auf Fridolin herunter. „Wenn du hier die Nerven verlierst, dann landen wir alle im Schlamm. Und rückwärts kommst du sowieso nicht hoch.“
„Aber ich habe Angst!“
„Wovor denn? Der da unten hat doch mehr Angst vor uns! Der steht gleich auf und geht!“
Gasoline drehte sich ganz vorsichtig zu Silke um.
„Es war eine blöde Idee, zum Stall zu schleichen!“
„Wieso blöde Idee? Du selbst konntest es doch gar nicht erwarten, dir den neuen Bullen anzuschauen, oder?“ Silke wurde laut. „Du warst doch ganz aufgeregt, als ich dir vom Loch in der Stallwand erzählt habe! Und du warst es doch, die gesagt hat, es wird Zeit, den kleinen Fridolin aufzuklären!“
„Ja, aber der Pfad hier ist einfach Scheiße. Das hättest du wissen müssen!“
„Quatsch, wenn wir erst mal unten sind, geht das schon. Bis zum Stall ist es dann nicht mehr weit. Und jetzt haltet die Klappe. Der geht gleich. Sicher.“
„Aber ich habe Angst!“ Fridolin begann, sich an Gasoline zu schmiegen.„Ich will weg hier!“
Gasoline versuchte, Fridolin zu beruhigen. Und sie versuchte gleichzeitig, das Gleichgewicht zu halten.
„Da!“ Fridolin schrie auf. „Er holt was aus seiner Jackentasche!“
„Klar,“ höhne Silke von oben,“der holt jetzt einen Elektroschocker raus und setzt dich unter Strom!“
Fridolin verlor die Nerven. Wie wild strampelte er mit den Beinen und versuchte, sich bergauf zu stemmen. Statt dessen rutschte er abwärts.
Gasoline wollte Fridolin aufhalten und kam dabei selbst ins Rutschen. Mit aller Kraft versuchte sie, Fridolin seitwärts ins Gestrüpp zu drängen. Aber stattdessen nahm sie Fahrt auf und preschte bergab, auf die Schuppenwand zu. Keine Chance, irgendwie die Richtung zu wechseln, keine Chance zu bremsen ...

Olaf hatte seinen Flachmann aufgeschraubt und roch genüsslich an der Flasche. Guter Whisky. Der wird durchwärmen. Aus den Augenwinkeln nahm er eine heftige Bewegung auf dem Pfad über sich wahr. Als er hinaufschaute, erstarrte er. Zwei der Kühe machten hektische Bewegungen und die größere der beiden stürzte auf ihn zu. Wie in Zeitlupe sah er sie immer größer werden, starrte in ihre aufgerissenen Augen. Ein riesiger Schatten legte sich über ihn. Er dachte noch, wie erstaunlich es sei, dass so dünne Beine eine solche Masse tragen könnten. Dann hatte diese Masse ihn erreicht und drückte ihn an die Bretterwand. Er merkte, wie in ihm die Rippen brachen. Aber er spürte keinen Schmerz. Nur ungläubiges Erstaunen. Das war doch alles nicht wahr! Keiner würde ihm glauben, wenn er das jemandem erzählte.
Dann wurde der Schatten über ihm immer größer.
Und immer dunkler.

Gasoline merkte, wie der Mann unter der Last ihres Aufpralls zerbrach. Einfach so. Als sie sich wieder aufgerappelt hatte, machte sie sich in panischem Entsetzen an den Aufstieg, den kleinen Pfad wieder zurück. Fridolin hatte es schon geschafft. Laut schreiend war das Kälbchen bei Silke auf dem Berg angekommen. Die wiederum schaute ungläubig auf die Szene, die sich unten abspielte.
Atemlos war jetzt auch Gasoline oben angekommen.
„Bloß weg hier!“
„Wieso?“ Silke schaute nach unten, wo der Mann wie ein Bündel Kleider in einer Lache seines eigenen Blutes lag. „Wenn der sich die nächsten Minuten nicht mehr rührt, können wir doch runter. Und an ihm vorbei.“
Fridolin sah Silke entgeistert an und begann wieder zu laufen, weg vom Pfad, in Richtung seiner Wiese.
Gasoline trat näher an Silke heran.
„Das ist doch nicht dein Ernst! Mir ist für heute jede Lust daran vergangen, dem neuen Bullen zu zu schauen. Du kannst ja gehen. Aber ohne mich. Und das hier vergessen wir jetzt alle, ganz schnell. Damit das klar ist!“
Sie drehte sich um und marschierte hinter Fridolin her.
Silke blieb noch einen Moment stehen und blickte zum Schuppen herunter. Dann ging sie auch.

Neben der Schuppenwand lag die kleine silberne Flasche. Der Whisky war ausgelaufen und hatte sich mit dem frischen Blut vermischt. Und mit dem immer stärker werdenden Regen ...

Eine Stunde vorher:

„Hey Isabel!“
„Hallo!“
„Bist du nachher im Schuppen? Um elf, wie immer?“
„Ich weiß nicht. Der Regen wird immer stärker, und außerdem fühle ich mich nicht so besonders.“
„Hey, lass uns ein kleines Feuer im Holzofen machen. So richtig romantisch. Lass uns die Kleider über dem Ofen trocknen. Lass uns den Honig aus dem Schrank auf unsere Haut ...“
„Nein. Heute nicht. Wirklich nicht. Entschuldige.“
„Ist das dein Ernst? ... Isabel?“
„Ja. Tut mir leid.“
„Sag mal, ist Tim bei dir?“
„Nein. Was soll die Frage?“
„Mir als beste Freundin würdest du es doch sagen, oder?“
„Ja. Mir geht es wirklich nicht gut. Lass uns nächsten Sonntag hinfahren. Da soll es noch einmal richtig warm werden. Wir können im See schwimmen. Vielleicht das letzte Mal in diesem Jahr ...“
„Ja. Gut.“
„Bist du mir böse?“
„Nein. Bin ich nicht. Nein. Also... gute Besserung. Bis nächsten Sonntag dann.“
„Ja, bis Sonntag. Ich freue mich darauf.“
„Ich auch. ... Übrigens, ich wollte dir noch sagen, ... Isabel? Hallo?“ ...

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Wunderbar und tragisch. Und diese Kühe, so richtig kühl und unmenschlich. Allerdings wäre es andersrum sicherlich ähnlich gelaufen. Nicht jeder weint einer Kuh eine Träne nach.

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Oho
Die dunkle Seite des Herrn Kuhlumbus... eine sehr schöne, tragische Geschichte. Die gefällt übrigens sicher auch dem Cabman, sie enthält ja seine beiden Lieblingszutaten. :-)

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Na ja,
so ganz harmlos sind die Referenzgeschichten in der Schreibwerkstatt ja auch nicht. :o)
Und die Kühe sind sonst eigentlich ganz nett. Eigentlich ...

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Hitchcock würde einen Film daraus machen: "Die Kühe" *fg*
Wieso haben Sie dieses tolle Werk nicht auf der Seite der Schreibwerkstatt bereitgestellt? Es wäre eine sehr gelungene Bereicherung gewesen!

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*hihi* lustig und böse zugleich. wie ich´s mag.
erinnert mich sehr an den urlaub mit meinem eltern in einem bayrischen kuhdorf (jawohl, genau, ein kuh-dorf, sowas muss man machen, wenn man leider erst 13 ist), als wir eines abends an einer weide mit kühe drauf vorbeiliefen. wohlgemerkt, es befand sich ein etwa 1,50 m hoher zaun mit stacheldraht zwischen uns und den kühen, welche etwa 20 meter entfernt friedlich grasten. meine mutter, die angst vor kühen hat, schob sich mit maximalem bluthochdruck und hinter meinem vater halb versteckt langsam den weg entlang. plötzlich passierte es: eine der kühe hob den kopf und blickte in richtung meiner mutter. die fing an zu kreischen, packte meinen vater an den schultern und brüllte: "da!da! die geht jetzt auf uns los, die trampelt uns übern haufen, schnell, nimm das kind!!" die kuh glotzte völlig ungerührt und bewegte sich natürlich keinen meter. vermutlich hat sie sich ihren teil gedacht. mir waren meine eltern damals sowieso peinlich, an diesem abend aber noch ein ganzes stück mehr.
auch ein puterschnitzel später beim abendessen war sie nicht davon abzubringen, dass die kuh tatsächlich witterung aufgenommen hatte, nur um sich dann auf uns zu stürzen.

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In
die Schreibwerkstatt sollte es eher nicht. Sobald Gasoline auftaucht, ist es etwas problematisch mit der Anonymität des Schreibers. :o)
Außerdem bin ich froh, wenn ich fürs Kuhratorium mal wieder ne Geschichte fertigkriege, sonst schmeißen mich die Leser mangels Neuigkeiten irgendwann von der Fernbedienung. ;o)

Trotzdem gefällt mir die Idee des Schreibwettbewerbs, und die Geschichten dort auch, vor allem meine bisherigen beiden Favoriten. :o)
Ich hoffe, ein wenig Werbung dafür gemacht zu haben.

@morphine: Dafür kann aber so ein Puter richtig gefährlich werden. Darüber kann man dann abends beim Rindergulasch tolle Geschichten erzählen ... ;o)

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Na,
Herr Kuhlumbus, die Sache mit der weggeschmissenen Fernbedienung vergessen Sie mal ganz schnell.

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Hier
wird ja noch kräftig gefeilt, sehe ich gerade. ;-) Nee, nee, bei mir bist Du fest einprogrammiert. Das bleibt auch so, selbst wenn mal keine Kuh auftauchen sollte.

Edit: Wo holst Du eigentlich immer diese wunderbaren Bilder her? Verbringst Du Deine Urlaube mit Foto-Shootings?

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Ach,
nicht wirklich. Ab und an ein Wort, über das ich nach dem fünften Lesen noch stolpere. :o)
Nur an einer Stelle musst ich inhaltlich sogar drei Worte ändern, um Gasoline nicht mehr ganz so skrupellos erscheinen zu lassen (auf den Hinweis vom Büffel hin ...). Findest du die Stelle? ;o)

Und die Fotos mach ich in größeren Abständen, immer gleich dutzendweise. Und in netter, inspirierender Begleitung. :o)

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Gasoline...?
Hmmm... *grübel grübel und studier*... Nein, ich finde es nicht, Gasoline scheint mir so wie vorher...

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Siehste
mal, nix kräftige Feile. :o)
Aber tatsächlich hab ich folgendes gemacht: bei ihrer Flucht nach dem Aufprall den Ursprungstext "ohne eine Sekunde zu verlieren" ersetzt durch "in panischem Entsetzen". Damit kommt sie vielleicht nicht mehr ganz so skrupellos rüber. :o)

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Ich
habs gemerkt, glaub ich. Genau dieses panische Entsetzen hat mir nämlich gefehlt. Toll. ;-)

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Würde
mich freun, wenns so rübergekommen ist. :o)
Damit sind wir ja tatsächlich fast in der Schreibwerkstatt ...

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Die
Pausen zwischen den Einträgen werden größer. Ist das jetzt eine Art Wachstum? Oder ist es ein Zeichen für regelmäßiges Hefeweizen aus der verseuchten Blogkantine? :-)

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Ist
ein Zeichen von Größe. Ja.
Nur Geduld, menno ...

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Geduld?
Pfff. Haben wir nicht.

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Wart's ab,
ist ja wieder Wochenende. :o)
Wobei mir nicht viele nette Sachen einfallen, wenn ich so aus dem Fenster schau. Das reinste Fledermauswetter! Da lockt man keine Kuh hinter dem Ofen vor. Wobei, so ohne weiteres bekommt man die Kuh da ja eh nicht weg, wenn sie sich einmal in die Lücke gezwängt hat. Da braucht's schon einen Maurer ... :o)

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hmh...
kuehe mit erotischer note... bin mir da nicht so ganz sicher... und wo bleibt die moral von der geschicht? :-)

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"Kühe
sind auch nur Menschen." Zum Beispiel. :o)
Oder: "Bergab ist immer blöd, wenns regnet." Oder so.

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