Montag, 6. März 2006
Durchzug
Früher brauchte es eine Kuh.
Wenn eine Kuh auf die Gleise gekommen war und dort seelenruhig wiederkäuend herumstand, hatte der Lokführer keine andere Wahl, als den Zug zum Stehen zu bringen.
Bevor eine Menge Eisen auf eine Menge Kuh trifft.
Heute reicht eine tote Ente.
Statt eines Lasso schwingenden Cowboys kommt heute die Feuerwehr, mit Schutzanzügen. Wenn sie gerade in der Nähe sind, kommen auch die Seuchenleute von der Bundeswehr und entsorgen die Ente, fachmännisch. In Plastiktüten. Bei einer Kuh gäbe es da schon Probleme, mit den Plastiktüten.
Aber ich will’s nicht dramatisieren. Die Medien haben es ja eingesehen. Inzwischen ist der Schnee wichtiger, als es die vielen toten Schwäne sind. Sondersendungen im Fernsehen zum Schneeangriff auf Bayern. Danach brennt Dresden, 1945. Zwei Minuten zum Umdenken.
Aber man ist ja geübt im medialen Slalom, ab und zu wird eingefädelt, kommt vor.
Der Schnee also.
Auf meiner Zugfahrt heute, der ersten nach ein paar Tagen bronchial verursachter Reiseunlust, gibt es bis jetzt weder eine lebende Kuh noch eine tote Ente. Und nicht genug Schnee, um den Zug aufzuhalten.
Das heute lauernde Übel hat einen anderen Namen, ein anderes Gesicht: Der lange Winter lässt die Bahn ihre Wagen immer noch so richtig durchheizen. Ich halte die Heizsaison der Bahn für ein jährliches, groß angelegtes heimliches Viren- und Bazillenzuchtprojekt - auch wenn ich sonst kein Freund von Verschwörungstheorien bin (dazu halte ich den Menschen an sich schon für viel zu unvollkommen und auch ohne Geheimbünde für ausreichend hinterhältig).
Durch mein jahrelanges Bahngefahre bin ich inzwischen mit Sicherheit einer der treuesten Teilnehmer an diesem Experiment, und auch ausreichend leidgeprüft. Ich habe schon einen recht guten Blick für die jeweils neuesten Kreationen an Viren und Bazillen, die nur Minuten nach Beginn der Heizsaison in den Zügen der Bahn sichtbar werden, jedenfalls für mich. Diese Viehcher, wenn ich das mal so sagen darf, sind inzwischen so groß, dass man keinen Mundschutz bräuchte, um sie auszusperren. Heute reicht wohl schon ein Tischtennisnetz, oder besser ein Spaghettisieb, sicher ist sicher. Aber wer hat so was schon bei sich.
Und die Luft anhalten geht auch nicht, jedenfalls nicht so lange, wie ich brauche, um von Leipzig nach Magdeburg zu kommen. Und heute abend wieder zurück.
Also hoffe ich, dass die Zugfahrten schnell vorbei gehen und dass keine tote Ente die Fahrt aufhält.
Oder eine lebende Kuh.

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